Ich kam am 30. Juli 2019 in Norwegen an. Die Sonne schien und die Temperatur war angenehm. Leider blieb dies nicht lange so, nach einer halben Stunde kamen wieder Wolken auf und es wurde kühler. Zwischendurch regnete es ein wenig und je weiter nördlich ich fuhr, desto mehr Wind kam auf. Ich fuhr mit leichter Schräglage weiter, genoss die atemberaubende Landschaft so gut es ging und stand plötzlich vor dem Tunnel, der zur Insel Magerøya führt. Die Tafel sagte "Norkapptunnelen 6870 m" und "212 m.u.h". Ein fast sieben Kilometer langer Tunnel, der unters Meer führt. Das war mein erstes Mal, dass ich unter Wasser fuhr, ein etwas mulmiges Gefühl hatte ich schon bei der ersten Durchfahrt. Man stelle sich das vor, 200 Meter unter dem Meeresspiegel und einem Tunnel zu fahren, Fluchtwege gibt es nur in die eine oder andere Richtung. Und in der Tiefe kann der Tunnel vermutlich ziemlich schnell geflutet werden, wenn da Risse in der Wand entstehen. Aber es lief alles gut, raus aus dem Tunnel ging es mit Seitenwind in Schräglage weiter an Honningsvåg vorbei nach Kirkeporten. Zum Nordkapp waren es von dort aus nur noch 15 Kilometer. Ich checkte auf dem Campingplatz BaseCamp NorthCape ein. Es windete kaum noch, was mir sehr entgegen kam.
Am nächsten Tag ging es früh los zum Nordkapp, ich hoffte ich könne mit dem Motorrad zum Globus fahren und dort ein paar Fotos schiessen. Das Center dort öffnete erst um elf Uhr, ich war um acht Uhr dort und schon sass jemand im Bezahlhäusschen. Es gab keine Chance die Dame zu überreden mit kostenlos oder zum reduzierten Preis reinzulassen und zum Globus zu fahren war sowieso verboten. Also teuren Eintritt bezahlen, Motorrad hinstellen und zu Fuss weiter. Ich muss sagen, das ganze dort ist etwas enttäuschend, klar ich bin alleine mit dem Motorrad zum Nordkapp gefahren, dies alleine ist schon eine Herausforderung, aber in dem Center gibt es ein Kaffee, einen Souveniershop und eine kleine Ausstellung und für dies zahlt man unverhältnismässig viel Eintritt, ausser man reist zu Fuss oder mit dem Fahrrad an, dann ist der Eintritt frei.
Ich fuhr wieder Richtung Süden, denn weiter nach Norden ging es nicht mehr, wieder durch den Nordkapptunnelen auf das norwegische Festland. Mein nächstes Ziel war der nördlichte Punkt des Struve-Bogen in Hammerfest. Der Struve-Bogen wurde von 1816 bis 1852 errichtet um die Erdkrümmung zu messen. Er Beginnt in Hammerfest (Norwegen) und führ bis nach Stara Nekrassiwkaa (Ukraine). Dessen Existenz hatte ich bei meinen Recherchen für meine Reise gemacht. Ich suchte nach Dingen und Orte, die auf meinem Weg sehenswert sind und fand auf der Seite der UNESCO Weltkulturerbe den Struve-Bogen. Ziel für diesen Tag war Alta. Kaum hatte ich das Zelt aufgestellt kamen zwei Deutsche mit dem Motorrad an, Michael und Wolfgang, und wir kamen ins Gespräch. Sie waren unterwegs zum Nordkapp und hatten allerlei Campingessen dabei. Michael meinte dann "Komm, schau mal in die Tasche rein und such dir was aus. Hier, dass kannst du auch nehmen". Es war wie Weihnachten. Leute, ihr erinnert euch an meine Enttäuschung im Weihnachtsmanndorf in Rovaniemi? Der Weihnachtsmann existiert, ist deutscher und heisst Michael. xD
Am nächsten Tag fuhren Michael und Wolfgang weiter in nördlicher Richtung und ich nach Tromsø. Ich wollte mir kurz die Eiskathedrale anschauen und dann weiterfahren. Und dort trad ich auf ein italienisches Päärchen, dass ich seit dem Nordkapp mehrmals angetroffen habe. Kurz vor Kirkeporten hielten wir am selben Campingplatz um nach den Preisen zu fragen, als ich vom Nordkapp runterfuhr, fuhren sie mir entgegen zum Nordkapp, als ich von Hammerfest weiterfuhr, fuhren sie mir wieder entgegen. Wir beschlossen also gemeinsam einen Campingplatz zu suchen und gemeinsam Abendessen. Der Tag wurde lang, sie wollten unbedingt eine Hütte für die Nacht und lange Zeit fanden wir keinen Campingplatz. Nach 550 Kilometer fanden wir dann endlich einen Campingplatz mitten im Nirgendwo und die Aussicht, die wir dort erhielten…einfach fantastisch. Wir waren beim Malsevfossen, einem Wasserfall, dem es zu besuchen lohnt.
Als ich im BaseCamp NorthCape war erhielt ich von Robert die Nachricht, dass er in Harstad festsitzt und auf Teile für ein Motorrad wartete. Ich beschloss also, mich mit ihm dort zu treffen. Wir trafen uns beim Händler, der uns mitteilte, dass die Teile noch nicht da waren. Es war Freitag und vor Montag würden sie nicht eintreffen. Wir suchten uns ein günstiges Hotel, gingen zum Rema1000 einkaufen und verbrachten den Abend zusammen. Am nächsten Tag fuhr ich weiter auf die Lofoten, Robert blieb in Harstad und wartete weiter auf die Teile für sein Motorrad. Seit Anfang unserer Reisen zum Nordkapp waren wir ständig im Kontakt und informierten uns gegenseitig über unsere Standorte und was wir so gesehen und erlebt hatten, dies sollte sich bald ändern.
Auf den Lofoten blieb ich ein paar Tage in Ballstad in einem Hostel, das günstiger war als ein Campingplatz. Ich arbeitete an meiner Webseite, fuhr ein bisschen in der Gegend rum und besuchte das Wikingermuseum. Das Wetter war gut. Als ich bei Å an der Küste etwas rumlief und fotografierte hörte ich plötzlich ein Mädchen, das zu ihrer Mutter sagte "Maman, il y a un homme qui fait de photo". Als ich mich ihnen näherte, kam mir das Mädchen ein paar Schritte entgegen und sagte "bonjour, tu veux un poisson?". Sie könne ihrem Vater der gerade am fischen war sagen, er solle einen Fisch für mich fangen. Das war so süss von ihr. Ich hätte das Angebot gerne angenommen, doch leider hatte ich keine Möglichkeit den Fisch mit dem Motorrad mitzunehmen. Robert hatte in der Zwischenzeit die Teile für das Motorrad erhalten und war wieder unterwegs. Er hatte eine Woche verloren und sein Urlaub ging dem Ende zu. Also lies er die Lofoten aus und "überholte" mich wieder auf dem Weg nach Süden. In Saltstraumen schaute ich mir die Gezeitenwirbel an, ein wirklich beeindruckendes Naturphänomen. Ich hatte solche Wirbel auch schon in den letzten Tagen in Norwegen gesehen, aber nicht in dieser Grösse. Riesige Mengen Wasser strömen bei Ebbe und Flut in den Fjord rein und wieder raus. Schon beim Anblick weiss man "da will ich jetzt nicht reinspringen", die Kraft, die diese Strömung hat, kann man vom Ufer aus förmlich spüren.
Ich fuhr die E6 runter über den Polarkreis, hielt beim kurz Polarsirkelsenteret an und fuhr weiter zu einem kleinen Museum, das Motorräder aus der Zeit des zweiten Weltkriegs ausgestellt hatte, das Arctic Circle Motorcycle Museum. Ein kleines, feines Museum das ich per Zufall im Internet gefunden hatte und das ich auch Robert empfohlen hatte. In der Tat war er einen Tag vor mir dort gewesen und ich habe seinen Gästebucheintrag gefunden.
In den nächsten zwei Tagen fuhr ich weiter bis nach Trondheim, ich hoffte dort neue Reifen für mein Motorrad zu finden. Die rauen Strassen in Ungarn, Slowakei und Tschechien, die langen geraden Strecken in Finnland und die 14'000 gefahren Kilometer hatten die Reifen eckig gemacht. Es war Sonntag, 24° C und sonnig. Ich machte einen Spaziergang durch Trondheim und genoss den warmen Tag. Trondheim ist ein schönes Städtchen und natürlich auch viel von Touristen besucht. Für den nächsten Tag hatte ich geplant zum Honda-Händler zu gehen um nach neuen Reifen zu fragen. Als ich am Morgen aufwachte erhielt ich eine Nachricht von Tobi, einem gemeinsamen Freund von Robert und mir. Robert hatte bei Helsingborg in Schweden einen Unfall gehabt und es nicht überlebt. Die Nachricht war ein Schock. Nach so vielen Kilometer die wir quasi zusammen gefahren sind, nur ein paar Hundert Kilometer bevor er wieder zuhause war Ende, Schluss, Aus. Ich hatte die letzten Tage keine Nachricht mehr von Robert gekriegt und dachte er sei bei Freunden, die er noch besuchen wollte und dann diese Nachricht. Ich schrieb noch etwas mit seiner Freundin, die fragte wie sowas passieren konnte. Ich sagte ihr, dass ich das auch nicht sagen kann. Es können die neuen Reifen gewesen sein, die neuen Bremsbacken, Dreck auf der Strasse, ein Tier dass über die Strasse gerannt ist, vielleicht war Robert auch müde nach den vielen Kilometer, die er in den letzten Tagen gefahren ist. Ich selber hatte auch schon einen Schlimmen Motorradunfall und weiss wie schnell sowas passieren kann. Im Unterschied zum Auto hat man beim Motorradfahren keine Knautschzone und Airbags die einen vor schlimmen Verletzungen schützen. Ein Augenblick der Unachtsamkeit und weg ist man. Nochmals mein Beileid der Familie und Freunde von Robert. Robert wird immer ein Teil meine Reise bleiben.

Meine Reise ging weiter, in Trondheim fand ich keine neuen Reifen. Bevor ich von Trondheim losfuhr, rief ich den nächsten Honda-Händler auf meinem Weg an, dieser hatte auch keine Reifen und es würde eine Woche gehen bis er welche erhalten würde. Also auch wieder nichts. Ich beschloss mit den Reifen bis nach Bergen zu fahren. Ich fuhr über die Atlantikstrasse der Küste nach nach Süden und hielt am Fusse der Trollstigen in Valldal an. Ich war nicht mehr viele Tage in Norwegen, also gab ich mein letztes Bargeld für Essen aus. Am nächsten Tag schien die Sonne, perfektes Wetter für die Trollstigen. Ich fuhr sie von Süden her an, hielt beim Aussichtspunkt oberhalb an und schaute mir die Spitzkehren von oben aus an. Der Anblick war beeindruckend. Die Fahrt hinunter war toll, wenig Verkehr und man konnte das gute Wetter geniessen. Ich fuhr bis nach Lom, wo ich meine erste Stabskirche besichtigte. Anfang der 1990 wurde eine dieser Kirchen in Brand gesteckt. Die Band Burzum druckte ein Bild der Überreste auf ihrem Album "Aske".
Mein Weg führte mich am nächsten Tag durch Jotunheimen ein Bergen. Das Gebirge bietet wirklich tolle Aussichten, ein Traum für Motorradfahrer. Mit Felswänden links und rechts schlängelt sich die Strasse das Gebirge rauf und wieder runter. Solche Strecken kenn man auch in der Schweiz, aber dort sind sie 20 Kilometer lang. In Norwegen 80 und mehr. Das Wetter wurde wieder zunehmend schlechter. Als ich in Bergen ankam, fing es gerade wieder zu regnen an. Ich fuhr direkt zum Honda-Händler. Fragte nach Reifen und zack, ich hatte neue Reifen montiert. Der nächste Tag war regnerisch, also fuhr ich sehr vorsichtig mit den neuen Reifen los. Ich wollte es nicht riskieren irgendwo im Graben zu landen.
Die letzten Tage in Norwegen waren vor allem von vielem Fahren geprägt. Ich hatte geplant in vier Tagen von Bergen über Stavanger nach Schweden zu fahren. Es drängte mich ins nächste Land, aber ohne zu hetzen. In Stavanger hielt ich bei den Schwertern im Berg an. Ein Denkmal, dass an die Schlacht beim Hafrsfjord von 870 errinnern soll. Die Schwerter sind im Stein eingebettet, so dass sie nicht mehr benutzt werden und die Menschen zu einem Leben in Frieden ermutigen.

 

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