Die erste Woche in Tiflis verging im Flug. Die Zeit mit Aad und Mike war eine gute Abwechslung. Einen Tag bevor ich aus dem Hostel auschecken musste, bekam ich die Nummer von einem anderen Mechaniker in Tiflis. Ich rufte ihn an und wir machten einen Termin aus. Nachdem ich Hostel gewechselt hatte, traf ich mich mit dem Mechaniker. Wir besprachen das Problem, das ich mit dem Motorrad hatte. Die Kupplung war durchgebrannt. "Sobald wir die Ersatzteile haben, können wir es reparieren. Das ist kein Problem.". Er gab mir eine Seite an, wo ich alle Originalteile günstiger erhalte als in Europa und ich bestellte sie. Im nachhinein war das ein Fehler, dass mich viel Zeit gekostet hat, zu viel Zeit.
Ich sass also in Tiflis fest, wartend auf die Ersatzteile. Das Hostel, Comfort Plus Hostel, in dem ich nun war, war super. Günstig, Einkaufsmöglichkeiten und U-Bahn in der Nähe und super Leute. Gastgeber und Gäste. Elisa war tagsüber da und kümmerte sich liebevoll um das Hostel und die Gäste. Sie sass kaum still, war immer am Putzen und schauen, dass auch alles nötige vorhanden ist. Für Infos über Tiflis brauchte man sie nur zu fragen. Schnell gab es Antwort und sie zeigte einem auf Google-Maps wo was war. Nachts war Temo da, ein Koloss. Aber lieb wie ein Teddybär. Auch er war voller Informationen über Tiflis, Georgien und die umliegenden Länder.
Am selben Tag wie ich, kamen auch Hannah und Emese im Hostel an. Die beiden jungen Frauen waren mit ihren Fahrrädern von Südostasien auf dem Nachhauseweg nach England resp. Ungarn. Einen Tag später kam auch Chris aus den USA an. Auch er mit dem Fahrrad unterwegs von Südostasien nach Hause. Die drei kannten sich bereits, da sie sich schon mehrmals auf dem Weg nach Europa getroffen hatten. Zusammen verbrachten wir die nächsten Tage, besuchten Tiflis, kochten zusammen quatschten. Am Tag vor ihrer Abreise liessen sich die "Mädchen" ein Teil eines Fahrradzahnrades tättowieren. In der Zwischenzeit besuchten Chris und ich ein Museum (war ziemlich langweilig) und gingen schon mal in eine Bar ein kühles Bier geniessen. Chris fuhr zwei Tage später auch wieder weiter.
Wie es so in einem Hostel ist kommen und gehen Gäste. Und manchmal gibt es auch Dauergäste. Wie Victor und Veneta zwei waren. Victor aus der Ukraine war bereits zwei Wochen (wenn ich mich recht errinnere) im Hostel, Veneta aus Bulgarien weiss ich nicht. Aber sie war auf jedenfall auch schon vor mir dort.
Nachdem die drei Radfahrer weg waren, kamen die nächsten zwei Radfahrer, Yuka und Yohey Tsuji aus Japan. Sie waren auch auf Weltreise und hatten schon die USA, Afrika und Europa besucht. Ihr Aufenthalt in Tiflis war auch etwas länger, da Yohey Tsuji Magenprobleme hatte und diese zuerst auskurieren musste.
In den weiteren Tagen und Wochen kamen auch weitere Gäste aus Japan. Zwei davon waren Motohiro und Yumi, auch sie hatten so ihre Gesundheitlichen Probleme in dem Hostel. Was dazu führte, dass wir anfingen Witze zu reissen, dass das Hostel nicht gut für Japaner ist und alle hier erkranken.
Eines Tages kam ein anderer Motorradfahren im Hostel an. Kurt aus Australien. Er war auf dem Weg nach Europa um einen Freund in München zu besuchen und zwei der MotoGP-Rennen live zu sehen. Fast zeitgleich kamen auch Amy und Gareth an, zwei Backpacker aus England. Sie wollten sich in Georgien einen Kleinbus kaufen und damit zurück nach England fahren.
Die Tage und Wochen im Hostel waren unterhaltsam. Jeder hatte seine eigene Geschichte und Pläne für die Zukunft. Viele werde ich vermutlich nie wieder treffen, andere wiederum schon.
Ich verbrachte die Tagen mit kleinen Ausflügen in Tiflis, Warten auf Ersatzteile, Filme schauen, Routenplanung und Abklärungen über den weiteren Verlauf meiner Reise.
Für den Georgier ist Gastfreundschaft und Freundlichkeit sehr wichtig. Die meisten Leute helfen, wenn man Hilfe braucht. Dieses Benehmen ist tief in ihrer Geschichte verankert. Schwieriger ist es mit ihnen zu kommunizieren, da die wenigsten Englisch sprechen. Die älteren Generationen sprechen nebst ihrer Landessprache auch Russisch. Die jüngeren Leute sprechen meist auch Englisch.
Das Land ist im Umbruch. Vor 8 Jahren fand ein Krieg mit Russland statt. Noch vor wenigen Jahren musste man für die Überquerung der Strassen der Polizei Wegzoll zahlen, nutzte man die Unterführungen, standen Kriminelle an der Kasse. Das System war korrupt. Wie in vielen andern Länder es auch war. Es gibt auch heute noch Gebiete von Tiflis, in die sich die Polizei kaum traut. Für den Touristen bleibt diese Realität meist verborgen. Der Tourist sieht zwar die Bettler auf der Strasse, sieht wie Autoräder auf dem Gehsteig gewechselt werden, er sieht wie die Fassaden gewisser Häuser am zerfallen sind. Aber von der Kriminalität und dem Krieg sieht man kaum was.
Georgien ist westlich orientiert und möchte der EU beitreten. Was meiner Meinung nach noch sehr viel Veränderung im Denken des Georgier beansprucht. Nehmen wir mal zwei kleine Beispiele. Verkehrsicherheit und Umwelt. In keinem anderen Land, das ich bis jetzt besuchen durfte, waren die Autos auf der Strasse in einem so schlechten Zustand. Scheiben mit Rissen von links nach rechts, Autos ohne Front-/Heckschürze, zum Teil keine funktionierenden Stossdämpfer usw. Würde man heute die MFK einführen, würden morgen vermutlich über 90% der Fahrzeuge keine Fahrerlaubnis mehr haben. Es gibt dazu auch einen Witz, der mir von einem anderen Reisenden erzählt wurde: Ein Mönsch und ein Marshutka-Fahrer stehen vor dem Himmelstor. Petrus begutachtet beide und lässt den Fahrer eintreten, der Mönch jedoch muss draussen bleiben. Ganz verstört fragt der Mönch Petrus warum er nicht eintreten darf, er habe sein ganzes Leben Gott gewidmet und jeden Tag mit beten verbracht. Petrus antwortet ihm: "Ich habe dich und dein Kloster beobachtet. Es stimmt schon. Du hast dein Leben mit Beten verbracht. Aber deine Brüder verbrachten die Zeit mit Facebook, Videospielen, Schlafen, Essen und Trinken. Wenn aber ein Marshutka-Fahrer zehn Gäste von A nach B fährt....dann beten zehn von zehn Leuten!"
Umwelt. Ein Bewusstsein für die Umwelt gibt es noch nicht. Vielleicht noch eher in den Bergregionen des Landes. Mülltrennung kennt man in Georgien nicht. Altöl von Motoren wird einfach mal in den Müllcontainer oder in der Gasse um die Ecke entsorgt.
In vielen Sachen ist Georgien wie Europa vor 40-50 Jahren. Aber eine Änderung findet statt. Das sieht und hört man, wenn man mit den Leuten spricht.
Das Land ist schön. Tradition und Geschichte sind wichtig im täglichen Leben. Die Bergregionen errinnern ein bisschen an die Schweiz, auch wenn die Berge hier höher sind. Das Klima und die Menschen sind warm. Ich bin gespannt wie sich das Land in den nöchsten Jahren entwickeln wird.

Als die Ersatzteile ankamen, sass ich schon über einen Monat in Georgien fest. Ich wollte nur noch weiter. Leider waren im Paket aber nicht alle benötigten Teile. Es fehlten die Distanzringe für die Kupplung. Mit dem Mechaniker ersetzten wir die Kupplungsringe und es ging für ein paar Tage Tesfahrt nach Armenien.
Armenien ist Landschaftlich toll. Kennt ihr die Landschaften aus den alten Western-Filmen? Grosse Steppen, karge Berglandschaften und Schluchten bei denen plötzlich links und recht auf der Klippe die Indianer stehen. So kam es mir in Armenien manchmal vor.
Die Testfahr verlief gut und ohne Zwischenfälle. Ich hatte aber trotzdem noch eine halb durchgebrannte Kupplung, einen revidierten Starter und die Starterzahnräder, die ausgewechselt werden mussten. Wie weiter?
So war ein Weiterfahren durch Kasachstan nicht möglich. Die Kupplung würde nach kurzer Zeit wieder völlig durchgebrannt sein. Ich war also auf einigermassen gute asphaltierte Strassen angewiesen. Was ich im Osten mit grosser Warscheinlichkeit immer weniger antreffen würde. Zudem gibt es dort keinen Pannendienst der Versicherung. Was soviel heisst, wenn ich im nirgendwo von Kasachstan stecken bleiben würde, müsste ich warten bis jemand vorbeikommt. Was unter umständen Tage dauern kann.
Weiter kam noch dazu, dass meine Reise in Kirgistan in eine Sackgasse geraten würde, da ich keine Gruppe finden konnte für die Chinadurchreise. Ich hatte Angebote von Reiseveranstalter, die von 2'000$ bis hin zu 16'000$ kosteten. Die günstigste Variante wäre vier Tage China gewesen und dann alleine durch Pakistan, was nicht wirklich von Vorteil ist. Die teuerste wäre in ca 20 Tagen durch China nach Laos fahren, was aber ungefähr einen drittel meines Reisebudget auffressen würde. Eine Möglichkeit wäre noch gewesen das Motorrad mit einem Transportunternehmen nach Thailand zu fliegen oder fahren. Aber auch das endete im nichts.
Ich war also wieder in Tiflis. Und eine grosse Entscheidung stand bevor. Die Distanzringe der Kupplung waren immernoch die alten, die Zahnräder des Starter müssten ersetzt werden, der Starter, der in der Türkei kaputt ging, kein Originalteil war, was darauf schliessen lässt, dass vielleicht auch anderes am Motorrad nicht in Ordnung ist. Und auch wenn ich beim Händler, bei dem ich das Motorrad gekauft habe, nachfragen würde, ob irgendwelche Probleme bekannt gewesen seien, würde er mir vermutlich wieder eine Lüge auftischen, wie bereits in der Vergangenheit geschehen ist.
Was nun? Die Reise abbrechen? Über zwei Jahre Vorbereitung und Planung in den Sand setzen? Wieder den den gleichen Weg zurückfahren? Nein. Es musste irgendwie weitergehen. Die Visa für Russland, Kasachstan, China und Indien waren bereits da. Kasachstan, China und Indien mit dem Motorrad wären nicht möglich, Russland war gleich vor der Tür. 170 km Fahrt von Tiflis und ich wäre in Russland.
Die Entscheidung viel nicht leicht, aber manchmal muss man die Vernunft siegen lassen. Mit einem Motorrad, das nicht zu 100% zuverlässig ist, fährt man nicht in Länder wie Kasachstan und Südostasien.
Ich entschied mich zurück zu fahren!

 

Fotos Georgien
Fotos Armenien